Das Drama um einen Klimaschutzmanager

AKT 1 – DER ERSTE BESCHLUSS

Die Chronik des nicht existierenden Klimaschutzmanagers in Seligenstadt beginnt im Jahr 2013. Der Magistrat beantragt im Juni den Beschluss des Seligenstädter Klimaschutzkonzeptes.

Auch zum Personal hat der Magistrat eine deutliche Einschätzung, die er im Antrag festhält: „Die Stadtverordnetenversammlung sieht die Notwendigkeit der Bereitstellung von personellen Kapazitäten in der Verwaltung für die Umsetzung der Maßnahmen aus dem Klimaschutzkonzept. Es wird ein Klimaschutzmanager eingestellt: zur finanziellen Entlastung der Stadt wird unverzüglich die Förderung des Klimaschutzmanagers aus der Kommunalrichtlinie des BMU beantragt.“

In der Stadtverordnetenversammlung am 14. Oktober 2013 wird dieser Abschnitt des Antrags bei Zustimmung der Fraktionen CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktionen FWS und FDP mehrheitlich angenommen.

Im Dezember 2014 versuchen Freie Wähler und FDP, die Stelle des Klimaschutzmanagers wieder zu streichen. Ein Antrag zum Stellenplan lautet: „Die Stelle des Klimaschutzmanagers wird nicht besetzt. Die für die Zuschüsse in Zeile 7 veranschlagten Erträge sowie die Personalaufwendungen in Zeile 11 sind entsprechend zu reduzieren.“ Dieser Versuch scheitert jedoch – die Fraktionen CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen stimmen mehrheitlich dagegen.

AKT 2 – DIE BLOCKADE

Dann ist es sehr lange ruhig um einen Klimaschutzmanager in Seligenstadt. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich ein Manko unseres Systems. Die Stadtverordnetenversammlung als höchstes Entscheidungsgremium der Stadt kann zwar mit Mehrheit einen Beschluss fassen, umsetzen muss ihn aber die Verwaltung. Und wenn die Verwaltungsspitze – wie z.B. die Bürgermeisterin (damals parteilos, heute Vorsitzende des OV der FDP) in der Legislaturperiode 2011-2016 oder der Bürgermeister (FDP) in der Legislaturperiode 2016 – 2021 – andere Vorstellungen hat, kann sich die Umsetzung eines Beschlusses sehr, sehr lange verzögern, oder gar im Sande verlaufen. Im Stellenplan gibt es keine Stelle für einen Klimaschutzmanagers, oder wenn doch, wird sie nicht besetzt. So kann in den folgenden Jahren das beschlossene Klimaschutzkonzept nicht wirklich umgesetzt werden.

AKT 3 – DIE FORTSCHREIBUNG

Die Aktualisierung des Konzepts mindestens alle fünf Jahre ist Teil der Selbstverpflichtung. So nehmen die Grünen in einem Antrag im Sommer 2018 den Ball erneut auf. Erstaunlicherweise wird diesmal einstimmig beschlossen, das Klimaschutzkonzept fortzuschreiben. Außerdem soll der Magistrat einen Bericht zur bisherigen Umsetzung vorlegen.

AKT 4 – DER HILFESCHREI

Im Januar 2019 liegt dann der Bericht des Magistrats vor. Die Einschätzung der Verwaltung gleicht in Personalfragen fast einem Hilfeschrei nach einer/m neuen KollegIN:

Dort steht geschrieben: „Die erfolgreiche Umsetzung des Klimaschutzkonzepts erfordert eine transparente, übergeordnete und unabhängige Koordination, durch welche die stadtweiten Ziele verfolgt, Strategien und Schwerpunkte formuliert und in Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren Projekte angestoßen und begleitet werden. Um den Zielerreichungsgrad und die Effizienz einzelner Maßnahmen zu überprüfen und bewerten zu können, ist es erforderlich, im Rahmen eines entsprechenden Controlling-Systems regelmäßig Daten zu erheben und auszuwerten. Dies kann durch Verwaltungspersonal nicht erfolgen. Vielmehr ist hierfür technisches Fachpersonal erforderlich, um die vielfältigen Aufgaben zielorientiert erledigen zu können. Entsprechende Stellen werden über ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Umwelt bezuschusst. Der Aufgabenbereich umfasst dabei u.a. die Akteursvernetzung, ein zentrales Informations- und Beratungsmanagement, die Unterstützung bei der Vorbereitung und Konkretisierung von politischen Beschlüssen, die Aktualisierung des Internetangebotes. Die Koordinierungsstelle kann so den „roten Faden“ der Klimaschutzaktivitäten sicherstellen und kommunizieren, indem sie Prioritätensetzungen bei Maßnahmenumsetzungen transparent darstellt und die Aktivitäten der Stadt koordiniert. Diese Maßnahme ist eine zentrale Grundlage zur Umsetzung weiterer Klimaschutzmaßnahmen. Damit kann eine langfristige Perspektive für die Klimaschutzaktivitäten in Seligenstadt geboten werden. Darüber hinaus sollte bei der Ausschreibung für die Stelle eine langfristige Perspektive offeriert werden.“

Auch weiter unten im Text wird nochmals deutlich bemerkt: „Zukünftig wäre eine Zusammenarbeit von Wirtschaftsförderung und Klimaschutzmanager wünschenswert. Um hier zukünftig überzeugen zu können, ist technisches Fachpersonal erforderlich.“

AKT 5 – KEINE AMBITIONEN

Hier muss man nicht zwischen den Zeilen lesen können, um die fachliche Einschätzung der Verwaltung zu verstehen. So stellt Adina Biemüller – Mitglied der Grünen Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung – nach der Lektüre des Magistratberichtes gleich im zuständigen Umweltausschuss am 21. Januar 2019 die konkrete Frage: „Erfolgt denn eine Stellenausschreibung für einen Klimaschutzmanager?“

Der Erste Stadtrat antwortet: „Im Stellenplan ist keine Stelle vorgesehen. Die Stadt Seligenstadt ist mit örtlichen Unternehmen im Gespräch, die kommunale Energieeffizienznetzwerke anbieten, um vor Ort potenzielle Maßnahme durchzuführen. Momentan wird geprüft welcher Partner für diese Maßnahme in Frage kommt.“

AKT 6 – DIE AUSREDE

Im April 2019 beantragt der Magistrat, am kommunalen Energieeffizienz-Netzwerk (KEEN) der EVO (Energieversorgung Offenbach) teilzunehmen, sofern mindestens sechs teilnehmende Kommunen gefunden würden.

In der Begründung heißt es: „Die Initiative der EVO zur Bildung eines kommunalen Energieeffizienz Netzwerks (KEEN) ist eine Option, die Bemühungen um den Klimaschutz aufwandsreduziert und praxisbezogen fortzusetzen, vor allem im Bereich Beratung, Vernetzung und Kommunikation sowie Fördermittelbeschaffung.

Dennoch sei so das Personalproblem nicht endgültig gelöst: „Die konkrete Umsetzung von Maßnahmen obliegt allerdings den jeweiligen Kommunen. Daher ist es trotz Anschluss an das Netzwerk erforderlich, Personal und Sachkosten zur Verfügung zu stellen.“

Der Antrag wird sodann in der Stadtverordnetenversammlung im Juni 2019 abgestimmt und bei Zustimmung der Fraktionen CDU, SPD, FDP, FWS und Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mehrheitlich angenommen.

Dieser Magistratsantrag ist eine reine Mogelpackung. In der Begründung wird noch einmal ganz deutlich aufgeführt, was das Klimaschutzkonzept leisten soll und warum dafür der Klimaschutzmanager dringend gebraucht wird. „Die im Klimaschutzkonzept geforderten Aktivitäten der Vernetzung und übergreifenden Zusammenarbeit, Moderation, Management der vollumfänglichen Konzeptumsetzung, Sensibilisierung,- und Bildungsarbeit, der Informationsbeschaffung und Weitergabe, Koordinierung und verwaltungsinterne Beauftragung der Datenerhebung und Aufbereitung zum Nachweis der Effekte der Klimaschutzbemühungen, können aus Sicht der Verwaltung mit dem vorhandenen Personal nicht bewältigt werden.“

KEEN ist zwar scheinbar kostengünstig, ist aber eher eine Alibi-Veranstaltung eines Energiekonzerns und ersetzt keinesfalls einen Klimaschutzmanager.

AKT 7 – ERNEUTER VERSUCH

Da sich ein Start von KEEN (kommunales Energieeffizienz Netzwerk) nicht abzeichnet und so oder so städtisches Personal benötigt würde, bringt die CDU-Fraktion – aufgeweckt und angetrieben durch die gut besuchten Seligenstädter „Fridays For Future“-Demonstrationen – im September 2019 einen Antrag zur Einstellung eines Klimaschutzmanagers ein. Im Antragstext wird nochmals darauf hingewiesen, dass dies eigentlich seit 2013 geschehen sein sollte: „Der Magistrat wird aufgefordert […] das integrierte Klimaschutzkonzept Seligenstadt vom 14.10.2013 zügig umzusetzen und als erste Maßnahme einen Klimaschutzmanager einzustellen. Zur finanziellen Entlastung der Stadt wird unverzüglich die Förderung des Klimaschutzmanagers aus der Kommunalrichtlinie des BMU beantragt. […] Von diesem Konzept, das allein von der FDP-Fraktion vollständig abgelehnt wurde, wurde bisher so gut wie nichts umgesetzt. Begründet wird dies vom Magistrat damit, dass die Stadt nicht über das notwendige Fachpersonal verfüge. Die CDU-Fraktion beantragt daher, endlich einen Klimaschutzmanager einzustellen und mit der Abarbeitung der von der Stadtverordnetenversammlung 2013 erteilten Aufträge zu beginnen.“

AKT 8 – DAS LANGE WARTEN

Und wieder geht das Spiel von vorne los. Die Umsetzung des Beschlusses zur Fortschreibung des Klimaschutzkonzeptes wird ebenso hinausgezögert, wie die Beschlussfassung zum CDU-Antrag auf Einstellung eines Klimaschutzmanagers.

Der Erste Stadtrat nennt als Zwischenstand für das kommunale Energieeffizenz-Netzwerk (KEEN): „Derzeit hat noch nicht die erforderliche Zahl an Kommunen die Mitarbeit zugesagt. Es fehlen noch 2 Gebietskörperschaften, die nach den Herbstferien ihre Entscheidung treffen wollen.“

Ende November 2019 wird erneut gefragt, die Antwort vom Umweltamt: „Mitte November hat ein erstes Vortreffen bei der EVO stattgefunden. Leider fehlt nach wie vor noch eine Kommune, um die Mindestzahl von 6 Kommunen zu erreichen. Mit einer Entscheidung ist Mitte/Ende Januar zu rechnen.“

Grünen Fraktionsmitglied Adina Biemüller fragt: „Warum wurde die Fortschreibung des Klimaschutzkonzeptes nicht bereits in 2019 in Angriff genommen, obwohl Haushaltsmittel hierfür bereitstanden?“ Der Erste Stadtrat erläutert hierzu, dass zur Fortschreibung des Klimaschutzkonzeptes Fachpersonal benötigt wird. Dies soll mit Hilfe des KEEN-Netzwerkes umgesetzt werden.

AKT 9 – DIE ABLEHNUNG

Am 10. Februar 2020 wird dann endlich über den Antrag zur Einstellung eines Klimaschutzmanagers in der Stadtverordnetenversammlung abgestimmt.

Die Koalition aus FDP, FWS und SPD lehnt den Antrag ab, das angekündigte kommunale Energieeffizienz-Netzwerk (KEEN) sei ausreichend.

CDU, Grüne und SPD-Fraktionsmitglied Michael Hollerbach stimmen für einen Klimaschutzmanager.

AKT 10 – DIE TOTGEBURT

Umweltausschuss, Montag, 25. Mai 2020, 20:30 Uhr Bei der Beantwortung einer anderen Frage von Petra Werk (Bündnis 90/Die Grünen), lässt der Erste Stadtrat beiläufig die Information fallen: „Das kommunale Energienetzwerk (KEEN) der EVO wird es so nicht geben; wenn dann sind Einzelmaßnahmen denkbar.“

Das Argument gegen einen Klimaschutzmanager ist somit in sich zusammengefallen – drastischer formuliert: eine Totgeburt.

AKT 11 – OFFENES ENDE

Wie endet das Drama um den Klimaschutzmanager in Seligenstadt?

In einer Tragödie oder einer Komödie?

Fakt ist: Stadtverwaltung und Bürgermeister als Verwaltungsspitze sind den Beschlüssen der Stadtverordneten, dem Wählervotum und dem Gesetz verpflichtet. Daneben sollten Sie das Wohl aller Bürger im Blick haben, auch wenn diese nicht zur Kernwählerschaft der repräsentierten oder favorisierten politischen Partei zählen.

Leider entsteht manchmal der Eindruck, dass bei der Verwaltungsspitze eine gewisse Unlust besteht, die Umsetzung bestimmter bestehender Beschlüsse oder Vorgaben mit der notwendigen Energie anzupacken und zeitnah zum Abschluss zu bringen, soweit sie nicht mit den parteipolitischen Zielen übereinstimmen.

Man hätte das Scheitern des kommunalen Energieeffizienz-Netzwerks (KEEN) offen ansprechen und sich Gedanken über eine Alternative machen müssen. Das Argument gegen einen städtischen Klimaschutzmanager ist offensichtlich nicht mehr stichhaltig.

Stattdessen werden Bürger, denen Nachhaltigkeit und Klimaschutz wichtig sind, die sich mit der Klimapolitik auseinandersetzen und die darauf vertrauen, dass ihre Stadt an den notwendigen Maßnahmen arbeitet, darüber im Unklaren gelassen. Man könnte meinen, dass die Koalition (FDP, SPD und FWS) darauf hofft, es werde sich nach ein paar Monaten schon keiner mehr daran erinnern. So könnte man die nicht zum eigenen politischen Portfolio passende Klimaproblematik eventuell ganz aussitzen oder wenigstens auf die lange Bank schieben.

Wer darauf hofft, dass man noch jahrelang auf diese Art weiterwirtschaften könne, dass man den Kampf gegen den Klimawandel nicht vor der eigenen Tür mit Stringenz und Kraft beginnen müsse, der hat dessen Dimension immer noch nicht verstanden.